In den 90er Jahren verließen die Amerikaner Augsburg. Insgesamt wurden nach dem Fall der Berliner Mauer, der Wiedervereinigung und der Entspannung des Ost-West-Konfliktes aus Augsburg fast 15.000 amerikanische Soldaten abgezogen. Diese lebten nicht nur alleine, sondern waren teilweise mit ihren Familien hier stationiert. In Augsburg waren von diesem Wegzug die Flächen der Sheridan-, der Reese- und der Flak-Kaserne sowie die so genannten “Housing Areas” Centerville, Cramerton, Sullivan Heights und Fryar Circle betroffen. Allein die Sheridan-Kaserne ist ein 70 Hektar großes Areal im Westen der Stadt. Die Reese-Kaserne, in der sich das “abraxas” oder auch die “Kantine” befinden, hat 44 Hektar. Insgesamt wurden fast 220 Hektar durch den Weggang der Amerikaner frei – das sind weit mehr als 300 Fußballfelder. Als zusammenhängende Fläche ist das in etwa so groß wie die Augsburger Altstadt. Die Größe entspricht auch der Bedeutung für die Stadt. Diese Flächen einer neuen Nutzung zuzuführen, stellt eine unglaubliche Chance dar, eine Herausforderung, in der auch enorme Risiken liegen.
Großes Potential für eine Neudefinition der Stadt: Prinz-Karl-Viertel und Bahnpark, Hasenbräu und Goldene-Gans-Areal
Damit aber nicht genug. Weitere frei gewordene Potentiale liegen in den Konversionsflächen der Deutschen Bahn (Bahnpark). Die frei gewordenen Hasenbräu- und Goldene-Gans-Areale sind weitere Beispiele neuer Chancen der Innenstadt für Augsburg, denn die Brauereien lagen ja mitten im Zentrum. Die Stadt Augsburg kann und darf diese Flächen nicht alleine dem freien Markt überlassen, sondern muss die zukünftige Entwicklung der Stadt mitbestimmen und sollte seine Einwohner durch Wettbewerbe und Bürgerbeteiligungen einbeziehen.
Doch kann die Stadt das alles alleine stemmen? Hat sie genügend Handlungsspielraum? Wichtig zu verstehen ist, dass der Besitz und der Zugriff auf die Areale nicht unbedingt zentral bei der Stadt liegt, die eine abgestimmte und nachhaltige Entwicklung vornehmen könnte. Wenn die Besitzer Verwertungsgesellschaften (zum Beispiel das Bundesvermögensamt) sind, so kann der kurzfristige Nutzen (wie der Verkauf an Einzelhandelsketten) den langfristigen Nutzen (Bürgerzentren, Gemeindebedarf) schnell ausbooten. Ein selbstbewusstes Verhandeln und das Vertreten der ureigenen Interessen der Kommune sind hier gefragt: Was benötigt die Stadt für eine Struktur, was wollen die Bürger und – noch wichtiger – was wird morgen und übermorgen notwendig sein für eine Stadt wie Augsburg?
Ein Beispiel: Südlich des Stadtzentrums, in etwa 400 Meter Entfernung zur Altstadt, liegt zwischen zwei Bahnlinien das Areal der ehemaligen Prinz-Karl-Kaserne. Hier entsteht seit den letzten Jahren ein komplett neues Viertel auf mehr als 10 Hektar. Darunter sind zwei Kindertagesstätten, Büro- und Dienstleistungseinrichtungen, ein Stadtteilpark sowie 500 Wohnungen, davon 200 im Programm “Siedlungsmodelle” der bayerischen Staatsregierung.
Dieses Programm will helfen, familien- und seniorengerechten Wohnraum in sozial stabilen Quartieren zu schaffen, aktuelle Bedürfnisse flächensparend zu realisieren und neue Bautechnologien sinnvoll einzusetzen. All das sind auch zentrale Aufgaben der Stadtentwicklung.
Beispiel einer neuen Nutzung: Kulturpark West
Jedoch nicht nur Wohn- und Arbeitsraum ist gefragt. Beispielsweise sind freie Räume für engagierte Jugendliche in Augsburg schwer zu finden. Gerade junge Musiker, die sich in der Regel auch noch mit eventuell nicht ganz so verständnisvollen und musikbegeisterten Nachbarn auseinandersetzen müssen, haben zumeist große Schwierigkeiten, passende Räumlichkeiten zu finden. Einige Bands haben bereits seit Jahren auf dem Gelände der ehemaligen Reese-Kaserne, das neben dem Theater “abraxas” auch den Club “Kantine” beherbergt, eine Heimat gefunden. Seit Ende 2002 war die “Initiative Kulturpark West”, bestehend aus Peter Bommas (Junges Theater), Thomas Lindner (SES) und Vertretern des Stadtjugendrings aktiv, um für den Erhalt eines Teils dieser jugendkulturellen Einrichtungen zu kämpfen.
Seit Mitte November letzten Jahres scheint es nun klar zu sein, dass auf einem Teil der ehemaligen Kaserne in sechs Häusern der so genannte “Kulturpark West” entstehen wird. Dieser soll auf gut 10.000 m2 vielen Kulturschaffenden, Jugendverbänden und -initiativen Raum für Aktivitäten bieten. Momentan laufen die letzten Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Bund um eine Übernahme des Geländes durch die Kommune. Wenn dieser Schritt abgeschlossen ist, wird die Stadt die Gebäude an die Initiative vermieten, die dann mit den Renovierungsmaßnahmen beginnen wird. Zum Sommer 2006 sollen die ersten Mieter in den neuen Kulturpark einziehen.
Neubau versus Erhalt der städtegeschichtlichen Architektur
220 Hektar inmitten der Innenstadt – da leuchten die Augen vieler Bauinvestoren. Doch die bestehenden Bauten einfach abreißen und stattdessen leicht verkaufbare, schnieke Singlewohnungen in Luxusausstattung bauen? Und im schlimmsten Fall einen wichtigen Bestandteil der jüngeren Geschichte vernichten und aus dem Bewusstsein der Bürger löschen – sei es die ehemaligen amerikanischen Kasernen oder das Bahnareal? Gerade am Beispiel des Augsburger Textilviertels sieht man, was passieren kann, wenn ein ehemals geschlossenes Stadtviertel seine Identität verliert. Zerteilt von der Schleifenstraße, wichtige Baudenkmäler durch “Versupermarktung” verschandelt oder wie beim Glaspalast durch nicht passende Umbauung in der Gesamtwirkung stark beeinträchtigt – hier ist etwas unwiderruflich verloren gegangen.
Überalterung der Gesellschaft
Und dann auch noch das! Horrorszenario Augsburg im Jahr 2030: Überbreite Gehwege, um Stützwagen und Rollstühlen Raum zu gewähren. Ampelschaltungen, die wesentlich längere Intervalle benötigen. Kindergärten und Schulen, die anders als ursprünglich vorgesehen genutzt werden müssen. Ehemalige Spielzeugläden, die nun Gesundheitshäuser sind, in deren Schaufenstern statt Spielzeugbaggern Prothesen präsentiert werden. Warum? Weil über die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands statistisch gesehen dann über 60 Jahre alt sein wird.
Noch sind die Wohnungen und Häuser auf die Bedürfnisse von Kleinfamilien oder agilen Singles zugeschnitten – nicht jedoch auf eine Generation, die zunehmend veraltet. Nicht nur Aufzüge werden häufiger benötigt, sondern auch barrierefreie Zugänge. Eine alternde Gesellschaft ist stark pflegebedürftig – doch wer wird diese Pflege noch leisten können? Gegenseitige Unterstützung wird notwendiger denn je werden. Noch werden Wohnbebauungen nicht auf Senioren-WGs zugeschnitten oder in Hinblick auf andere altersübergreifende Lösungen (zum Beispiel das nachbarschaftliche Mehrgenerationenhaus) optimiert. Das liegt aber nicht an mangelnden Konzepten – sondern tatsächlich an einer mangelnden Akzeptanz der Käufer und Mieter von Wohnungen. Denn alt werden nur die anderen – die Prognose für die eigene Zukunft ist dagegen meistens zu naiv/optimistisch und von Fehleinschätzungen geprägt.
Park oder Parkplatz: Wie sieht Augsburg morgen aus?
Viele Fragen beschäftigen die Stadtentwickler neben den sich verändernden
Gesellschaftsstrukturen: Wie soll sich ein Stadtteil in Zukunft präsentieren? Welche Freizeitmöglichkeiten, wie zum Beispiel Grünzonen, gibt es? Welche Verkehrswege verbinden die neuen mit den alten Stadtteilen? Und natürlich auch – da die Menschen ja nicht nur wohnen und ihre Freizeit ausleben werden: Welche Anforderungen stellen ansiedlungswillige Firmen – und welche Firmen hat man vor Augen (Schwermetall oder Dienstleistung)?
Dieser Artikel erschien zuerst im a-guide 1/2006
Sollten diese Fragen nur einen kleinen Teil der Augsburger bewegen oder doch uns alle? Wie soll unsere Heimat morgen aussehen? Sind diese Fragen nicht viel zu wichtig, um sie anderen zur Beantwortung zu überlassen? Der a-guide lädt Euch ein, diese Diskussion zu begleiten – und auf der a-guide-Webpage www.a-guide.de die weiteren Artikel dieser Serie zu verfolgen.
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