Augsburg hat viele berühmte Söhne. Zu einem der ganz großen Autoren und Theatermacher, Bertolt Brecht, bekennt sich Augsburg immer deutlicher – auch wenn den Stadtvätern die politische Seite des bekennenden Kommunisten nie schmeckte und deswegen nach wie vor zumeist die eher unpolitische Jugendzeit betont wurde und wird. Doch offensichtlich hat Augsburg neben BB auch noch mehr große Söhne in die Welt schicken können. Und vielleicht hat die eigentümliche Augsburger Sozialisation sie – ebenso wie Brecht – für das ganze Leben geprägt. Einer von ihnen ist Johann Most – aber von ihm hört man heutzutage gar nichts mehr.
Eine harte Jugend in Augsburg
Kein verdüsterter Himmel, kein Donnern und auch keine fürchterlichen Blitzen kündigten am 5. Februar 1846 die Geburt des Johann Most an. Aber es war kalt. So kalt, wie viele der Nächte in Gefängnissen in Deutschland und England, die er später noch zu sehen hatte. Wie Most selber einmal sage, kam er in “polizeiwidriger Weise zur Welt” – wegen des schmalen Gehalts des Vaters, der als Schreiber für einen Advokaten arbeitete, wurde den Eltern eine Hochzeit vom Augsburger Gemeinderat verboten. Erst zwei Jahre später sollten die Eltern sich verehelichen.
Die Schule erlebte der kleine Johann als fürchterliche Tortur, noch oft sollte er über die verhasste “Prügel-Pädagogik” herziehen, die er dort erfuhr. Die überfüllten Klassen mit mehr als 150 Schülern konnten nur durch härteste Strafen der Lehrer kontrolliert werden. Weitere Schicksalsschläge sollten nicht lange auf sich warten: Eine bösartige Erkältung des siebenjährigen Jungens wurde durch falsche Behandlung zu einer Entzündung der Wangenknochen, die erst sechs Jahre später operativ behandelt wurde. Johann Mosts Gesicht war grotesk entstellt – sein Bart versuchte erfolglos diese Zeit seines Lebens zu vertuschen. Wie ein Hohn klingen die “pathologischen Betrachtungen” politischer Gegner aus dieser Zeit: “Alle Anarchisten sind Idioten oder angeborene Verbrecher, die noch dazu im allgemeinen humpeln, behindert sind und asymmetrische Gesichtszüge haben” schrieb der italienische Arzt und Kriminologe Sare Lombroso (1836-1909).
Der frühe Tod seiner Mutter 1859 an Cholera und die erneute Heirat seines Vaters brachte weitere Probleme mit sich: Die Stiefmutter unterdrückte Johann, wo sie konnte, gab ihm nichts zu essen, behandelte ihn fast wie ihren Privatsklaven. Das sollte sich tief in die Seele Mosts einbrennen: “Denn wo und wenn immer private oder öffentliche Tyrannen vor mir in Erscheinung traten, – ich mußte sie von ganzer Seele hassen.” Bestimmt sind hier schon Wurzeln für den politischen Werdegang Mosts festzumachen.
Lehrzeit als Buchbinder in Augsburg
Noch nicht dreizehnjährig (die Organisation eines Schülerstreiks gegen eine Strafarbeit des Französisch-Lehrers hatte ihm die Schulzeit erheblich verkürzt) trat er als Lehrling bei der Buchbinderei Weber ein. Auch hier begegnete er Ausbeutung und Schinderei. Dazu kamen die absurden bayerischen Gesetze, die neben der Pflicht, alle sechs Wochen zu beichten auch regelmäßigen Kirchgang vorschrieb. Sein Fernbleiben wurde mit 24-stündiger Polizeiarrest bestraft – was sicher seinen restlichen Glauben vernichtete. Sein erster Gefängnisbesuch sollte nicht der letzte bleiben.
Hochverrat?
Nach seiner Lehrzeit streifte Most bis 1867 als Wandergeselle durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und die Schweiz, wo er sich der ersten Internationalen Arbeiterbewegung (1864 von Karl Marx in London gegründet) anschloss. Ein Jahr später kam er mit der österreichischen Arbeiterbewegung in Kontakt. Dort erkannte und entwickelte er sein Talent als Redner. Bei einer Arbeiterdemonstration ergriff er das Wort, geißelte das Bürgerministerium mit scharfen Worten, was ihm mehr als nur seinen Job kosten sollte. Der Ruf nach der Verhaftung des “frechen Buchbindergesellen” wurde laut, die Arbeiterverbände schon bald verboten. Wegen Hochverrat wurde er zu fünf Jahren schweren Kerker verurteilt, jedoch wegen einer allgemeinen Amnestie bereits 1871 wieder entlassen und nach Deutschland abgeschoben.
In Bayern zurückgekehrt fand er zunächst keinen Anschluss an seine politische Arbeit in Österreich. Nur Trümmer einer Arbeiterbewegung lagen vor, der deutsch-französische Krieg hatte die Arbeiterbewegungen zerschlagen. Nach mehreren Versuchen, eine neue Bewegung zu gründen, zog er es vor, nach Leipzig zu gehen, sich dort den Sozialisten anzuschließen. Endlich bekam er eine Anstellung bei der “Chemnitzer Freien Presse”, eine Abonnentenzeitung mit 200 Exemplaren Auflage. Seine Feder muss die Leute begeistert haben: In nur wenigen Wochen versechsfachte sich die Auflage – doch auch die Anzeigen häuften sich. Anfallende Geldstrafen sitzt Most lieber im Gefängnis ab, das Geld benötigt er dringender für seine Zeitung. Und Prozesse sind an der Tagesordnung: Most hatte zum Beispiel den deutsch-französischen Krieg als Massenmord beschrieben. Der Staatsanwalt: “An der Spitze der Armee aber steht der Kaiser, ergo war auch dieser beschimpft worden; und darin liegt Majestätsbeleidigung”. Abermals schlossen sich die Gefängnistore hinter Most für eine achtmonatige Haft in Zwickau.
Als Sozialist im Reichstag
Anfang 1874 wird Most von den Chemnitzern zum ersten Mal in den Reichstag gewählt, 1877 erneut. Nach eigenen Aussagen hat er sein Amt mit “gehobenem Gefühl” angetreten, doch schon bald schrieb er frustriert über das “Reichskasperletheater”, der “Narrensposse”, dem “Klimbim” der kompletten “Affenkomödie”. Er kommt dort kaum zum Reden, nur außerhalb des “hohen Hauses” wird er gehört. Und leider nicht nur von vor seinen Anhängern – auch Spitzel sitzen unter den Zuhörern. Eine Rede vor Berliner Arbeitern über die Pariser Kommune bringt ihm 1874 weitere 26 Monate Haft in der Haftanstalt Plötzensee ein. In der Haft entstehen erste religionskritische Schriften. Anfangs blieben diese noch ohne Folgen, jedoch verschärfte sich Mosts Ton ins ätzende. Kirchenaustrittskampagnen der Berliner Sozialisten standen im Gegensatz zur Gründung von christlichen Arbeitervereinen, die zwar zahlenmäßig unbedeutend aber deswegen nicht politisch einflusslos waren. Most stand erneut vor Gericht: zum “Ketzer-Prozeß wider Most”. Mit nur kurzen Unterbrechungen sitzt Most bis Dezember 1878 in Haft. Schreiben und Lesen darf er, was er ausgiebig ausnutzt. Zum einen baut Most sein Französisch aus, zum anderen liest er viele theoretischen Schriften der Sozialisten.
Sozialistengesetze in Deutschland
Inzwischen ist die innenpolitische Lage immer angespannter: Das fehlgeschlagene Attentat am 11. Mai und am 2. Juni 1878 auf den deutschen Kaiser (beim letzteren wird er wird nur am Arm verletzt) lässt den Reichstag handeln. Am 21. Oktober wird das Gesetz “gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” verhängt. Genossen legen Most nahe, sofort das Reich zu verlassen. Kurz vor Weihnachten schifft Most sich nach England ein, knüpft Kontakt zu politischen Flüchtlingen, hält sich in Exilanten-Kreisen auf. Auch veröffentlichen muss Most weiter – er gibt dort das zunächst sozialdemokratische Blatt “Freiheit” heraus, dass auch nach Deutschland geschmuggelt wird.
In England radikalisiert sich Most zunehmend. Er wird von den Sozialdemokraten isoliert, bekommt Kontakt mit den anarchistischen Schriften Michail Bakunins. Revolution heißt nun vermehrt für ihn Kampf. Er bejubelt den Versuch August Reindorfs 1883, den kompletten kaiserlichen Hofzug in die Luft zu sprengen. “Endlich!” jubelt er in der “Freiheit” auf das Attentat auf Zar Alexander II.. Selbst in England sieht man das nicht gerne. 16 Monate Isolationshaft und Zwangsarbeit sind die Folge. Der Gefängnisgeistliche schreibt mit Kreide außen an Mosts Zellentür: “Keine Religion! Keine Kirche!” Überall eckt Most an, macht sich immer mehr Feinde – auch im eigenen Lager. Auch England ist kein sicherer Staat mehr für den Augsburger Anarchisten.
Auf, in die vereinigten Staaten!
Am 2. Dezember 1882 besteigt er in Liverpool den Dampfer ““Wisconsin” – schon 16 Tage später kommt Most in New York an. Schon bald ist die “Freiheit” neugegründet. In seinen Leitartikeln der anarchistischen Zeitung spitzt sich zunehmend sein libertäres und atheistisches Gedankengut zu: “Wir führen Krieg gegen das Privateigentum, den Staat und die Kirche – einen Krieg, dessen Ziel die völlige Zerstörung dieser Institutionen ist! […] Nieder mit dem Staat! […] Nieder mit der Kirche – mit allem Glaubenschwindel und Pfaffentrug!”
Vortragsreisen bestimmen Mosts Leben – er reist durchs ganze Land, kommt durch die großen Städte der USA, immer “atheistisch-desinfizierend mit scharfen Aufklärungssäuren” wirkend, wie er sich selbst anpries. Während einer dieser Vortragsreisen in Cincinnati erliegt er einem Fieber.
Die Nachricht vom Tode Mosts am 17.3.1906 verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Vereinigten Staaten. Und es gab wohl nur wenige Blätter, die nicht von dem Ableben des greisen Rebellen Kenntnis nahmen. Sechzig Jahre alt wurde der “wilde Hund” Johann Most. Augsburg und Deutschland hatte er jedoch nach seinem freiwilligen Exil ab 1878 nie mehr besucht.
Zuerst erschienen in der Neuen Szene, 2/2000
Mehr auch unter:
- Wikipedia zu Johann Most
- Kurzbesprechung: “Die Gottespest” von Johann Most
- Kurzbesprechung: “Revolutionäre Kriegswissenschaft” von Johann Most
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Möge er in Frieden ruhen
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