Zwanzig Jahre Ars Electronica – Zeit für einen kurzen Rückblick. Das Linzer Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft begann 1979 mit der Suche nach den kulturellen Entsprechungen des technologischen Wandels – und damit das Unterfangen, den Prozess der Kultur- und Kultwerdung neuer Technologien zu finden, zu analysieren und Möglichkeiten seiner Gestaltung zu finden. Die dritte industrielle Revolution steht seitdem im Mittelpunkt einer soziokulturell geführten Technikdiskussion. Am Anfang – in den letzten Jahren jedoch stark vernachlässigt – dominierte noch die elektronische Musik. 1987 kam der Prix Arts Electronica als Innovationspreis für Medienkünste, 1996 eine ständige Ausstellung, das Ars Electronica Center, hinzu. In der ehemaligen Stahlstadt Hitlers entwickelte sich seitdem ein Zentrum und Forum für Diskussion der gegenseitigen Auswirkungen des Spannungsfeldes Kunst-Technik-Gesellschaft, das seinesgleichen in Europa, ja, auf der ganzen Welt sucht.
Während in den letzten Jahren virtuelle Welten, künstliches Leben und Information Warfare durch Kunstausstellungen und dem der Ars Electronica als wichtiger Schwerpunkt zugehörigen Symposium diskutiert wurde, stand im Jubeljahr die Biotechnologie oder eben englisch “LifeScience” zur Debatte.
Das Tempo bei der Kartierung des aus ca. 100.000 Genen bestehenden menschlichem Genoms hat in den letzten Jahren erstaunlich zugenommen. Mit der Gentechnologie verbinden sich unsere liebsten Hoffnungen und Sehnsüchte nach einer glücklichen und gesunden Zukunft ebenso wie unsere dunkelsten Ängste und Befürchtungen vor Supernazis und unabschätzbaren Risiken. Sie gehört dabei zu den unangesehensten aber meistfinanziertesten Wissenschaften in Europa – und steckt dabei noch mitten in ihren Kinderschuhen. Dabei werden die Begriffe Klonen, Gentherapie, NovelFood und Eugenik wild durcheinandergeschmissen. Eine qualifizierte und differenzierte ethische Diskussion findet so gut wie nicht statt, und wenn, dann wird die öffentliche Auseinandersetzung beherrscht von einer I/0-Logik, die nur die enthusiastische Zustimmung oder kategoriale Ablehnung kennt.
Kari Stefansson, Gründer des ersten Biotechnologie-Unternehmens Islands, der Firma Decode Genetics, das derzeit die komplette isländische Bevölkerung genetisch kartographiert: “Es ist letztendlich eine Systemfrage – kann man Dinge, die in der Natur vorliegen (wie z.B. Sauerstoff und Wasserstoff) patentieren? Das bestimmt nicht. Aber wenn man Heilmethoden und Medikamente erforscht, deren Entwicklung über 10-12 Jahre dauert und fast 500 Millionen Dollar kosten, dann muss diese Forschung von jemanden finanziert werden.” Von seinem Standpunkt aus ist der Verzicht auf eine Erforschung und Entwicklung von Gentherapien ein Verzicht auf medizinische Hilfeleistung.
Doch seine Gegner schießen scharf zurück: Sie haben Angst vor einer Neuauflage der Eugenik der Nazis, der Einteilung und Bewertung der Menschen nach ihrem Genmaterial und einer potentiell möglichen Züchtung des Menschen zu einem Supergeschlecht. Und das nicht von ungefähr.
Zahlreiche Krankheiten entstehen aus einem Zusammenspiel von Erbfaktoren und Umwelt – die Umwelt lässt oder will sich jedoch nicht ändern. Warum also nicht den Menschen ändern, um viele Krankheiten auszuschalten? Wenn man die gewaltigen Kosten sieht, die Krankheiten pro Jahr den einzelnen Regierungen verursachen, dann kann man das Interesse an der Präventivmedizin verstehen. 1989 wurde der Versuch, ein Genomprojekt im europäischen Parlament durchzubekommen, maßgeblich durch die deutschen Grünen verhindert. Sie stellten die Eugenikdebatte ins Zentrum der Diskussion – wo wird man die Grenze der erlaubten Veränderungen des menschlichen Genoms setzen? Wenn man die Gesellschaft nicht erziehen kann – wird man sie genetisch umformen wollen? Ist die Gentechnik vielleicht sogar die Möglichkeit, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen gleichberechtigt da – wortwörtlich – gleich sind? Auf diese Frage werden die meisten Menschen wohl entschieden mit “Nein” antworten.
Doch wenn Eltern in Zukunft im Vorfeld einer Kindszeugung verhindern können, dass ihre Kinder behindert geboren werden, sogar ihre Chancen vergrößern können für Krebs und andere Krankheiten resistent zu sein, dann sollten sie das auch tun. “Aber werden diese Eltern nicht auch gleich eine potentielle Dyslexie, einen zu kleinen Körperwuchs oder die Haarfarbe verbessern, wenn sie es können, um ihren Kindern die allerbesten Chancen zu gewähren?” fragt unter anderem Jeremy Rifkin, Autor des Buches “Das biotechnische Zeitalter” und profilierter Gentechnik-Kritiker. “Entscheiden sich die Eltern für den traditionellen Weg, könnten sie Schuldgefühle plagen, wenn etwas schief geht, was durch einen gentechnischen Eingriff hätte vermieden können.” Science-Fiction? Die Klage einer amerikanischen behinderten Frau gegen ihre Eltern, weil die Eltern trotz des Wissens, dass ihr Kind krank sein wird, es ausgetragen haben, wurde von einem US-amerikanischen Gericht stattgegeben.
Eine zynische Anmerkung zu der Gentechnik scheint das “Kunstobjekt” Eduardo Kacs zu sein. Kac “übersetzte” in Morsesprache und von dort wieder in die “Gensprache” der vier Basen Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin den dem Menschen über die Erde Herrschaft versprechenden Bibelvers “Let man have dominion over the fish of the sea, and over the fowl of the air, and over every living thing that moves upon the earth.” Dieses Kunstgen implementierte er in der Zusammenarbeit mit einem Gentechniker in ein Kolibakterium. Gespannt schaut der Zuschauer auf das Ergebnis – was wird sich entwickeln? Bis jetzt sieht man nur eine Petrischale mit Punkten. Über seine Webpage http://www.ekac.org/ erreicht man seine Genesis-Site. “Mir ging es weniger darum, mich selber an die Stelle Gottes zu setzen, sondern vielmehr auf die kultur- und technikpolitische Bedeutung hinzuweisen, die diese Bibelpassage hatte”, betont der Künstler.
Tatsächlich zwingen die Möglichkeiten der Gentechnik die Gesellschaft in eine neue und scharf zu führende Diskussion: Wie bewerten wir in Zukunft Krankheit? In welche Zukunft wollen wir gehen? Wo sind unsere ethisch-moralischen Grenzen, die wir nicht bereit sind, zu überschreiten? Wem sollen wir die Aufsicht über die Gentechnik geben? Dem Staat, den Wissenschaftlern, den Unternehmern?
Letztendlich müssen wir eine demokratische Antwort und Regulierung finden, d.h. die Diskussion so offen wir nur möglich zu führen und das bestehenden Wissen in diesem Rahmen zu nützen.
Zu der Ars Electronica 99 erschien neben dem Katalog und Materialienband unter dem Titel “LifeScience” (ISBN 3-211-83368-4) ein Rückblick auf 20 Jahre “Ars Electronica” der über das Ars Electronica Center erhältlich ist, beide herausgegeben von Gerfried Stocker. Informationen und weiterführende Links unter http://www.aec.at/lifescience/.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Szene Augsburg, 10/1999.
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[…] Kunst im Zeichen der Doppelhelix – 20 Jahre Ars Electronica mit dem Schwerpunkt LifeScience (1.10.1999) […]