Where do you want to fight today? Die Ars Electronica 1998 in Linz

Ars Electronica 1998Das diesjährige Motto der Ars lautet INFOWAR – INFORMATION.MACHT.KRIEG und hat damit dieses Jahr den Schwerpunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der HiTec. In einem zweitägigen Symposium diskutierten führende Medientheoretiker, Soziologen, Wirtschaftsvertreter und Hacker über die Auswirkungen von information warfare. Durch das Brennglas der Thematik Krieg werden so auch Veränderungen in unserer Gesellschaft sichtbar. Die Ars Electronica ist eine Ausstellung von Kunstformen, die sich mit aktueller Elektronik auseinandersetzen. In verschiedenen Sparten werden regelmäßig Preise verliehen. So gewann z.B. dieses Jahr der Film Titanic den Preis in der Sparte Computeranimationen. Seit 1979 findet die Ars Electronica in Linz statt. Während die ersten Jahre von Technikbegeisterung bestimmt waren, ist nun Ernüchterung eingetreten. Jetzt dominieren ernstere Themen: es ist Zeit kritisch zurückzublicken und Bilanz zu ziehen. Das liegt auch unter anderem an Gerfried Stocker, der 1995 Peter Weibel als Direktor ablöste: “Das revolutionäre Potential ist ausgeschöpft – es finden nur noch lineare Steigerungen statt.”

Die Zukunftsvisionen sind mittlerweile Realität geworden. Die Welt hat sich in kaum noch überschaubaren Rahmen vernetzt. Globale Kommunikation – zumindest für die Industriestaaten – ist Alltag geworden. Gleichzeitig ist die totale Überwachung, wie durch George Orwell in “1984″ geschildert, keine Fiktion mehr. Neue Telekommunikationsgesetze erlauben die Speicherung aller Verbindungsdaten – ja schreiben diese sogar vor. Internetprovider müssen Logfiles, welche alle Aktionen ihrer Kunden protokollieren, mitlaufen lassen und einen eigenen anonymen Account für den Zugriff auf diese Daten für den Staatsschutz einrichten.

Wissen ist Macht
Wissen ist Macht – nun gut, keine neue Erkenntnis. Doch eins steht fest: die Aufrüstung der Staaten im Bereich des electronic warfare der letzten Jahre boomt. Im Mai 1995 unterschied General Ronald R. Fogleman im sogenannten InfoWar drei Teilbereiche: das Sammeln und Auswerten von Daten, das Korrumpieren, Pervertieren und Fälschen der gegnerischen Daten und letztendlich sich vor genau diesen Angriffen zu schützen.

Damit ist die vierte, eine virtuelle Front geschaffen: neben der “klassischen” Kriegsführung zu Lande, zu Wasser und zu Luft, stehen gezielte Angriffe auf Telekommunikationszentren oder anderen Informationsverteilern im Mittelpunkt. Nicht unbedingt um deren Vernichtung geht es. Manchmal ist es besser diese zu kennen und zu steuern – nicht umsonst wurde beim Putschversuch in Moskau zuerst ein Fernsehsender besetzt. Die modernen Guerillia setzen auf die Macht der Medien.

Computergesteuerte Waffen sind schon längst in die moderne Kriegsführung eingebunden: die ferngesteueren Raketen während des Golfkrieges bewiesen ihre enorme Schlagkraft und Präzission. Selbst für die Grenzsicherung werden Computer eingesetzt. Auf der Ars 98 konfrontierten Paul Garrin und David Rokeby die Besucher in der Installation “Border Patrol” mit der menschenunwürdigen Überwachungstechnik der amerikanisch-mexikanischen Grenze – “Snipercams” nehmen die Besucher ins Visier und ballern virtuelle Maschinengewehrsalven auf sie ab.
Paul Garrin / David Rokeby: Border Patrol

Die Installation der Berliner Künstlerin Daniela Alina Plewa, die eine verhypte Visualisierung von logischen Abläufen zeigt, basiert letztendlich auf einem Expertensystem zur Auffindung, Behebung und eventuellen Nutzung von Konfliktsituationen. Während ihre Installation vielmehr die Frage stellt: “Soll Hamlet Claudius töten?” kann dieses Expertensystem weitreichendere Problemlösungen behandeln – vorausgesetzt die Datenbank ist mit den entsprechenden Daten gespeist.

Mit “Augmented Reality” (einer Technologie zur computergestützten Verstärkung und Erweiterung der Sinneswahrnehmungen und physischer Möglichkeiten) wird der Soldat in eine wandelnde Kommandozentrale verwandelt – in einen InfoWarrior. Science Fiction? Nein – alles Technik, die bereits in Anwendung ist. Die Kriege der Zukunft werden nicht – wie einige euphorische Technikbegeisterten annehmen – mit non leathal Weapons oder virtuell bestritten; im Gegenteil: gestorben wird immer noch real. Die Waffen werden durch immer ausgefeiltere Computersysteme und Algorithmen immer präziser: Carpet Bombing (das flächendeckende Zerbomben von Städten), wie im letzten Weltkrieg praktiziert, ist unnötig geworden: es reicht die neuralgischen Punkte anzugreifen, wie etwa Fabrikanlagen, Informationszentralen, Universitäten und Krankenhäuser. Neue Waffen – Flux-Compression-Generator- oder kurz E-Bomben – legen die komplette Elektronik in kilometerweitem Umfeld lahm. Das komplette zivile Leben versänke in Chaos: kein Fernsehen, Radio, Telefon, Computer, rein gar nichts funktionierte mehr.

Virtuelle Laborspielereien?
Die Bundeswehr hat ihre Ausbildung schon umgestellt: Anfang September 1997 wurde in der Colbitz-Letzlinger Heide der größte Truppenübungsplatz der Bundeswehr im Osten eingeweiht. Hier können 2500 Soldaten auf einer Fläche von 232 km² gleichzeitig an Manövern mit dem neuen Computer- und Simulationssystem AGDUS (entwickelt von DASA-Dornier und STN-Atlas Elektronik) teilnehmen. Die Soldaten schießen mit Laserkanonen auf sich – der Computer wertet via Sensoren deren Verletzungs- und Einsatzgrad aus. Durch das Global Positioning System (GPS) ist der Standort jedes Soldaten feststellbar und damit der nächste Zug analysierbar.

Das Schlagwort unseres Jahrzehnts ist Informationsgesellschaft – und wir sind mitendrin. Sie wird von drei Schlüsseltechnologien bestimmt: Elektrizität, Telekommunikation und Computer. Technologien, entwickelt im Interesse und aus der Logik des Krieges. “Der Krieg ist der Vater aller Dinge” – nirgendwo sonst als in der Computertechnologie bewahrheitet sich das mehr.

Cypherpunks – Die Angst vor den Hackern
Der InfoWar ist nicht ausschließlich Staaten und Völkern vorbehalten: mit der Entstehung der Informationsgesellschaft ergaben sich auch für kleinere und kleinste Gruppierungen ungeahnte und gefährliche Möglichkeiten. Für nur wenige tausend Mark kann man sich die geeignete Hardware kaufen. Die Fronten haben sich verschoben.

Eine ungekannte Angreifbarkeit und Verwundbarkeit ist durch die hohe Computerisierung unseres alltäglichen Lebens eingetreten. Michael Wilson, Experte für infrastrukturelle Kriegsführung und Berater multinationaler Konzerne in nachrichtendienstlichen Angelegenheiten, malt ein düsteres Szenario: “Nicht auszudenken, drängen Hacker in die Flugleitzentralen von Flughäfen ein, veränderten z.B. die Landebahnhöhe oder -länge. Neue Arten des Terrorismus bedrohen unsere Gesellschaft – computerbasiert, lautlos, teilweise ohne sich selber gefährden zu müssen.”

Nicht viel anderes praktizieren die internationalen Konzerne bei ihrem InfoWar gegen ihre Konkurrenten: Ein Beispiel hierfür ist der digitale Angriff auf die thailändische Währung im Mai letzten Jahres durch Börsenmakler, bei der die gesamte Volkswirtschaft eines boomenden Landes innerhalb von 14 Tage auf einen Wert gedrückt wurde, der unter dem Gesamtwert des Siemens-Konzerns steht. Hier lösten Spekulanten im virtuellen Raum eine Wirtschaftskrise aus, die die Asien-Krise von heute zum Teil miteinleitete. Als die thailändische Notenbank um Unterstützung beim amerikanischen Wirtschafttsministerium bat, lehnten diese ab: “So ist nun einmal der Kapitalismus”.

Wilson schürt einseitig die Angst vor der Gefährdung der modernen Welt durch terroristische Hacker, ohne auf deren gleichzeitig wirksamen gesellschaftlichen Funktion hinzuweisen. Während viele Konzerne die Hacker zum Teil als Betatester ihrer Produkte ansehen, fühlen sich die selbsternannten Cypherpunks als die Retter der Demokratie: Es geht ihnen um freies Lernen und freies Forschen. Das Eindringen in fremde Computersystem hat mit Wissen, d.h. mit Macht, zu tun. Beim Wissen aber geht es weniger um die Macht selbst, es stellt eher eine Bedrohung für sie da; Hacker gefährden die Position der Mächtigen. Denn diese erzählen ständig von der hohen Komplexität unserer Realität, die nur noch von Experten verstanden werden kann – das Monopol zur Auswahl dieser Experten liegt ausschließlich bei den Herrschenden. Die Forderung nach frei zugänglicher Information für alle wird so zu einer hochpolitischen Aussage.

Zu der Ars Electronica 98 erschien neben dem Katalog (ISBN 3-211-83134-6) auch ein umfangreicher Materialienband unter dem Titel “Information.Macht.Krieg” (ISBN 3-211-83192-4), beide herausgegeben von Gerfried Stocker. Informationen und weiterführende Links unter http://www.aec.at/infowar/

Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Szene Augsburg, 10/1998.

2 Responses

  1. […] Where do you want to fight today? Die Ars Electronica 1998 in Linz (1.10.1998) […]

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