Wie immer, wenn es bei Kongressen in einzelne Breakout-Sessions geht, möchte man sich am Liebsten zerreissen, damit man bei allen teilnehmen kann. Ich entschied mich für zwei Workshops beim Digitaler-Wandel-Kongress – der erste beschäftigte sich mit dem Thema, wie das Internet die Medienlandschaft verändert oder bereits verändert hat. Auch wenn die Hauptdiskutanten Gerd Horseling, Stellvertretender Chefredakteur von der Augsburger Allgemeinen und Alfons Pieper (einer der drei Macher vom Wir in NRW-Blog) den Eindruck hinterließen, dass die klassische Presselandschaft eigentlich dem Internet ausschließlich aufgeschlossen und offen gegenübersteht und hier nur wenig Konkurrenz aufkäme: im von Sascha Knöchel (LAK Medien & Netzpolitik der Grünen) moderierten Dialog mit den Kongressteilnehmern wurde schnell klar, dass es vielleicht doch etwas komplizierter ist…
Klar ist: Das Internet ist längst zum Massenmedium geworden. Alle Tageszeitungen und Zeitschriften beklagen, dass sie immer mehr und auch immer schneller Leser an das Netz verlieren. Die Medienlandschaft befindet sich in einem grundlegenden Wandel und steht vor der größten Zäsur seit der Erfindung des Buchdrucks. Bei einer spontanen Umfrage bei den Workshopteilnehmern konnte man jedoch zunächst feststellen, dass die Anwesenden nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung waren. Von ihnen hatten vielleicht 10% keine Tageszeitung im Abonnement – die Statistik sagt jedoch, das nur noch 61 Prozent der deutschen Haushalte eine Tageszeitung abonniert haben. Die anwesenden Nichtleser argumentierten mit fehlender Zeit – aber auch mit zu großer Politiker- oder Parteinähe und kritisierten den gefälligen Verlautbarungsjournalismus, der sich in verschiedenen Heimat- und Regionalzeitungen breitmache. Sie informieren sich im Internet.
Diese Abwanderung möchten Zeitungsmacher natürlich verhindern oder zumindest die Leser zu ihrer eigenen digitalen Plattform führen: „Crossmediale Kompetenz und Investition in Qualität zahlt sich aus“, so Horseling. Der Journalist werde verstärkt zum Contentmanager. Er werde Inhaltsbeschaffer sein und von einem Team unterstützt, das den Content in die verschiedenen Channels verarbeitet. Um das zu ermöglichen, investiere die Augsburger Allgemeine massiv in Ausbildung ihrer Redakteure – und natürlich auch, um den negativ Trend des Leserschwunds zu bekämpfen. Anscheinend mit Erfolg, da das Augsburger Pressehaus bundesweit noch besser dastehe als andere Verlage. „Auch im Onlinebereich schreiben wir schwarze Zahlen“, so der Journalist. Er gab jedoch unumwunden zu, dass die Leserzahlen nicht steigen. Es gäbe verschiedene Gründe dafür – das Internet ist nur einer davon. Tatsächlich haben sich auch Frühstücksgewohnheiten geändert, die morgendliche Tageszeitung beim gemütlichen Frühstück gäbe es immer seltener. (Fußnote: Das mit dem Frühstück macht sich sogar in den Schulen bemerkbar: Nur jedes zweite Kind frühstückt morgens gemeinsam mit seiner Familie, jedes sechste Kind isst vor der Schule gar nichts, so eine Forsa-Umfrage unter Eltern im Auftrag der Techniker Krankenkasse 2010). Bei Coffee To Go und einem iPhone in der Hand zur Arbeit – da habe bei vielen eine Tageszeitung keinen Raum mehr… Doch diejenigen, die noch lesen, die seien noch treu und bräuchten auch die Haptik der Zeitung, ohne die das Lesen keinen Spaß mache. eZines könnten da nicht mithalten, so beide Journalisten übereinstimmend.
Der Augsburger Verleger Andreas Köglowitz hielt deutlich dagegen – „Nein, eBooks machen sehr wohl Spaß!“ Köglowitz, unter anderem auch eBooks-Berater für den deutschen Börsenverein, weiß wovon er spricht. Kopierten Zeitungen jedoch einfach das Layout der Zeitung als PDF auf’s iPad, bräuchten sich die Verleger nicht wundern, dass das niemand kaufe. Wichtig sind eben nicht „copy & paste“ des Contents auf digitale Plattformen, sondern diese auch mit ihren jeweiligen Vorteilen zu nutzen. Beispielhaft macht das z.B. das amerikanische Wired-Magazin, in Deutschland aber auch die Berliner Morgenpost und die Welt, die ihren Analogcontent vorbildlich auf das iPad angepasst haben.
Zeitung als Wundertüte
Provokativ der Diskussionsbeitrag von Benjamin Stöcker vom Podcast Politology: „In 15 Jahren sind viele Lokalzeitungen in Deutschland tot. Das billige Nachdrucken von dpa-Meldungen führt nicht zu einem eigenen Mehrwert und somit zu einem Verlust der Existenzberechtigung.“ Stöcker weiter: „Das Papiermedium ist doch langweilig; es ist nicht filter-, such- oder zoombar!“
Bestimmt richtig, aber auch ein wenig unfair, sich rein auf die digitalen Vorzüge zu konzentrieren, denn auch die Printmedien haben einiges zu bieten. Natürlich kann man im Internet in der Tiefe und Breite viel mehr finden, als je in einer Tageszeitung enthalten sein kann. Aber: „Die Tageszeitung ist eine Wundertüte“, so Horseling. Der Witz sei ja eben, das man mit einer Zeitung einen breiten Mix bekäme, den man nicht sucht, sondern den man vorgeschlagen, sortiert und redaktionell bearbeitet vorfinden kann.
Auch Alfons Pieper hielt entgegen: „Natürlich wird die Zeitung weiter existieren! Die wurde schon oft totgesagt: erst als das Radio kam, dann als das Fernsehen aufkam. Und jetzt wieder, weil das Internet aufgetaucht ist!“ Er sieht die digitale Welt als eine Ergänzung zur Zeitung. Aber wenn sie gut bleiben soll, dann muss auch der Leser sich bei der Tageszeitung einbringen und mehr fordern von den Herausgebern. Denn diese ruhen sich zu schnell auf ihren alten Meinungsmonopolen aus, und meinen, nicht mehr schnell, frech und aggressiv sein zu müssen. Hier treiben Blogs und Twitternachrichten die Zeitungen an. Er hält aber gleichzeitig nur wenig von den vielen „Freizeitkapitänen“, die sich als Blog-Journalisten versuchen. Pieper machte sehr deutlich, dass nur journalistische Qualität sich durchsetzen kann. Man meinte aber, das sprichwörtliche Pfeifen im Walde zu hören – schließlich ist Pieper langjähriger WAZ-Journalist gewesen, und wird ungern eingestehen wollen, dass vieles, was ungelernte Blogger machen, gar nicht mal so schlecht ist. Tatsache ist: Blogs, Twitter und Co. sind aus der Informationslandschaft von heute nicht mehr wegzudenken.
Das Internet gibt schließlich den Zugang zu alle denkbaren Informationen – und einige Leute nutzen diese Technologie auch so. Hier geht es auch um Machtverlust, der sogenannten Vierten Gewalt. Da können dann sogar etablierte Massenverinformierer wie die BILD-Zeitung ihre politischen Vorstellungen nicht mehr auf gewohnte Art und Weise verlautbarend durchsetzen. Beispielhaft war das bei Guttenberg zu sehen, der trotz massivem BILD-Einsatzes nicht mehr haltbar war.
Was ist also das Ergebnis der Diskussion, was nehme ich daraus mit? Persönlich glaube ich auch nicht an eine Zukunft ohne gedruckte Tageszeitungen und Magazine. Auch wird guter Journalismus immer etwas kosten – und gute Zeitungen und Zeitschriften müssen auch aufwändig gestaltet werden, damit sie hochwertig sind. Das wird die Chance der Printmedien sein. Trotzdem wird das Zeitungssterben weitergehen und sich die Menschen zunehmend aus dem Internet informieren.
Dem Mainstream hinterherklicken
Immanuel Kant hat einmal geschrieben: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Das Internet ist ein mächtiges Tool, dem Menschen dabei zu helfen – mächtiger als es jede Bibliothek jemals sein könnte, weil es eben nicht nur informiert, sondern auch zur Vernetzung untereinander befähigt (siehe auch in diesem Kontext Brechts Radiotheorie). Dass die Internet-Wundertüte dabei nicht von der breiten Masse im aufklärerischen Sinne ausgereizt werden wird, ist (leider) klar. Diese klickt auch im Internet dem Mainstream hinterher. Nicht umsonst führen Justin Bieber, Lady Gaga und Asthon Kutcher die Top Ten der Twitterianer an…
Schon heute kann man feststellen, dass die meisten der sich rein aus dem Internet informierenden Leser versierte „Special Interest“-Leser sind. Faktisch ist das Internet, um im Bilde zu bleiben, die gigantomanischste Wundertüte, die man sich vorstellen kann: Denn dort findet sich zu allem etwas. Dennoch lesen die Leute wesentlich selektiver, meistens nur die jeweils für sie ganz persönlich interessanten Artikel und Themen. Die Individualisierung der Gesellschaft findet damit nun auch verstärkt in den Nachrichten und Informationen statt. Das wirkt sich trennend aus. Meines Erachtens ist das Wegbrechen der gemeinsamen Informationen (Artikel, Filme, Daten, …) ein gesellschaftliches Problem: Es besteht schlichtweg immer öfter keine gemeinsame Diskussionsplattform, wenn es auch keine gemeinsame Informationsbasis mehr gibt. Da stellt sich doch die Frage, ob das unter Umständen sogar demokratiegefährend ist, wenn ein allgemeiner Wissensstand nicht mehr vorausgesetzt werden.
Tatsächlich, wir leben in spannenden Zeiten.
Dieser Artikel bezieht sich auf den Zukunftskongress der Grünen zum Thema “Digitaler Wandel – Wie sich unser Leben ändert”.
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